Große Schwindelei

ekmann_schwindlerinnenBarbro Andersson und Lillemor Troj studieren in den 1950er Jahren gemeinsam in Uppsala. Barbro will an einem Literaturwettbewerb teilnehmen; der steht unter dem Motto: ein Lucia-Kurzkrimi. Doch als eher durchschnittlich attraktive Frau rechnet sie sich wenig Chancen aus. Also schickt sie ein Foto der blonden, luciagleichen Lillemor mit. Die beiden gewinnen, Lillemor nimmt den Preis entgegen, das Geld wird geteilt. Das ist der Anfang einer großen Autorinnenkarriere. Barbro schreibt und schreibt, Lillemor kommentiert und repräsentiert. Beide sind – meist – zufrieden mit ihren Rollen. Doch viele Jahre später – Lillemor wurde inzwischen sogar in die Schwedische Akademie gewählt – taucht bei ihrem Verleger das Manuskript für einen Unterhaltungsroman auf – der Plot: die betrügerische Geschichte einer Autorin, die nie eine Zeile selbst geschrieben hat. Lillemor gelingt es zwar, in Besitz des Manuskripts zu kommen, doch Barbro – die eindeutig seine Autorin ist – will sie erst mal auch nicht treffen.

Abwechselnd lesen wir, was Lillemors in der Gegenwart widerfährt und Barbros in Ich-Form geschriebenes Manuskript. Von den Höhen und Tiefen beider Leben, von Liebe, Schicksalsschlägen und Jobs, von Sexismus und Erfolg. Von Freundinnen- und Feindinnenschaft.

Kerstin Ekman, eine der bedeutendsten schwedischen Gegenwartsautorinnen, wird heuer 80. In einer Phase, in der manche AutorInnen Lebensrückblicke oder Autobiographien schreiben, geht Ekman – wieder einmal – ihren ganz eigenen Weg und schreibt ironische, mit ihrer Branche abrechnende Autofiktion, die – ganz große Literatur eben – auch als Roman bestens funktioniert – oder umgekehrt? Mein Buch des Jahres!

Kerstin Ekman: Schwindlerinnen. Roman. Übersetzt von Hedwig M. Binder. 448 Seiten, Piper, München 2012   EUR 23,70

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Die Luchsfrau ist zurück

lehtolainen_löwe_der_gerechtigkeitMit „Der Löwe der Gerechtigkeit“ liegt der mittlere Band von Leena Lehtolainens Trilogie über die Leibwächterin Hilja Ilveresko vor. Nach einem sehr spannenden und actiongeladenen ersten Band kommt der zweite nicht so richtig in Schwung. Der Europol-Agent David Stahl, mit dem Hilja eine heftige Affäre hatte und der dann am Rande eines gescheiterten Urandeals verschwand, ist wieder in Hiljas Leben aufgetaucht. Doch als sie sich heimlich in Italien treffen, verschwindet David erneut und hinterlässt jede Menge rätselhafte Spuren (und eine Leiche). Hilja forscht nach und gerät ins Visier des organisierten Verbrechens. Gleichzeitig wird sie mit neuen Hinweisen auf ihre Herkunftsfamilie konfrontiert: ihr gewalttätiger Vater, der ihre Mutter getötet hat, hat möglicherweise auch etwas mit dem angeblichen Unfalltod ihres Großvaters, bei dem sie aufwuchs zu tun. Und schließlich taucht ganz zum Schluss – als Cliffhanger für Band drei – auch noch eine mögliche Halbschwester auf. Vielversprechender Lesestoff für Lehtolainenfans, die sich die ganze Trilogie reinziehen, weniger für die, die einen schnellen Krimi zwischendurch suchen.

Leena Lehtolainen: Der Löwe der Gerechtigkeit. Thriller. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 348 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2013   EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Der nächste Sommer kommt bestimmt

vonsoden_strandgutManche fliegen zu Weihnachten ans Meer, viele sehnen sich einstweilen noch danach. Das Lesebuch „Strandgut“ kann diese Sehnsucht für ein paar kuschelige Stunden überwinden helfen – oder verstärken, vor allem dann, wenn es nicht unbedingt ein Meer mit Palmenstrand sein muss. Die Autorin Kristine von Soden, die von Kindheit an ihre Ferien am liebsten an Nord- oder Ostsee verbrachte, entführt in kurzen Kapiteln, die eine Mischung aus Stimmungsbildern, naturkundlichen oder geschichtlichen Informationshappen, anekdotenhaften Beobachtungen und literarischen Schnippseln sind, zu Themen wie: Möwen, Bademode, Dünen, Strandkorb, Wolken und FKK. Und Wind: „Küstensüchtige … können gar nicht genug von seinen Böen bekommen, die die Haare durcheinander wirbeln, Sorgen und Nöte wegpusten, die Haut streicheln oder frottieren.“ Glücklich, welche nicht bis zum nächsten Sommer warten muss!

Kristine von Soden: Strandgut. Warum das Meer blau ist, der Bikini nie baden ging und alle Möwen Emma heißen. 119 Seiten, edition ebersbach, Berlin 2012

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2012

Kallio ermittelt wieder

Leena Lehtolainen nimmt sich in ihrem neuesten Maria Kallio Krimi ein schwieriges Thema vor. Es geht um vier Mädchen, die innerhalb kurzer Zeit in der Nähe von Helsinki verschwinden. Die vier haben gemeinsam, dass sie alle regelmäßig denselben Mädchenclub besuchten, und alle vier sind Muslimas, mit Herkunftsfamilien aus unterschiedlichen Ländern. Als eines der Mädchen ermordet aufgefunden wird und auch die Presse Wind davon bekommt, gerät Ermittlerin Maria Kallio, die inzwischen wieder für die Polizei arbeitet, zunehmend unter Druck. Die Geschichten der vier Mädchen sind vielschichtig, in ihren Leben gibt es Konflikte um Erwachsenwerden, Verliebt sein, Traditionen, Integration, Finnisch sein oder Fremd sein. Gibt es einen gemeinsamen Nenner in ihrem Verschwinden? Ehrenmord oder rassistisches Motiv? Lehtolainen schafft es – im Gegensatz zu anderen in diesem Genre – ohne Klischees und vereinfachende Antworten den Kriminalfall aufzulösen – das Unbehagen über den Umgang der Gesellschaft mit dem Thema Zuwanderung bleibt.

Leena Lehtolainen: Sag mir, wo die Mädchen sind. Maria Kallio ermittelt. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 344 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2012        EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Damen in Romanen

„Damenroman“ nannte der berühmte Literaturkritiker des Modernen Durchbruchs in Skandinavien Georg Brandes solche Büchern, wie sie zum Beispiel seine Zeitgenossin und zeitweilige Geliebte Victoria Benedictsson schrieb: Bücher von Frauen über Frauenfiguren, die versuchten eigenständige Lebenswege einzuschlagen. Victoria Benedictsson beging nicht zuletzt wegen der Missachtung ihres literarischen Werkes Selbstmord. Sigrid Combüchen gewinnt 125 Jahre später mit einem „Damenroman“ den begehrten August-Preis. Dabei ist es wohl weniger die reine Handlung von „Was übrig bleibt.“, die das Buch besonders macht, sondern der künstlerische Kniff, der diese Handlung in einen Rahmen stellt: die Autorin tritt im Roman als Ich-Erzählerin auf, die von einer Leserin einen Brief erhält. Daraus entwickelt sich eine jahrzehntelange Briefbekanntschaft, die die Autorin dazu nutzt, Inspiration für einen Roman zu gewinnen, der von den Jugendjahren ebendieser Leserin Hedda handelt. Ein Erwachsenwerden in den 1930er Jahren, zwischen Konventionen und Aufmüpfigkeit, zwischen familiären Zwängen und ersten erotischen Abenteuern. Detailreich zeichnet die Autorin das Leben von Hedda als Schülerin in Lund und später als Studentin einer „Modeakademie“ in Stockholm, das absolut authentisch wirkt. Ein sehr schöner Ferienschmöker.

Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt. Ein Damenroman. Übersetzt von Paul Berf. 494 Seiten, Verlag Antje Kunstmann, München 2012    EUR 25,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Im Bilderrausch

helsinki_school„The Helsinki School – A Female View“ ist der inzwischen vierte Band einer Reihe von Publikationen der Aalto University School of Art and Design. Diese international renommierte Uni für Design, Film, neue Medien, audiovisuelle Kommunikation, Kunstunterricht und Kunst positioniert sich mit dem Konzept der „Helsinki School“ im Bereich Fotografie und Video. Dabei geht es um die spezielle Herangehensweise in der universitären Lehre, die „jeder Generation die Chance geben soll, sich selbst zu erfinden und die Kamera dabei als konzeptionelles Tool zu verwenden.“ Der vorliegende Band trägt den Zusatz „A Female View“, was heißt, dass 22 Fotografinnen Raum gegeben wird, um ihre Werke zu präsentieren. Es wird dabei sehr schnell klar, dass von „einer weiblichen“ Sicht keine Rede sein kann. Jede Künstlerin hat ihren ganz eigenen Stil, ihre individuellen Techniken und Blickwinkel. Das reicht von wunderbaren Porträts (Nelli Palomäki) über kaleidoskopartige Architekturaufnahmen (Nanna Hänninen) und großartige Installationen von Vintage-Kleidungsstücken in der Natur (Riitta Päiväläinen) bis zu Fotografien im Stil traditioneller chinesischer Landschaftsmalerei (Sandra Kantanen). Ein schön ausgestatteter Band, der inspiriert.

The Helsinki School. Vol. 4. A Female View. Hg. von Aalto University School of Art and Design. 188 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011 EUR 40,90

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Island der Schriftstellerinnen

Island war 2011 als erstes skandinavisches Land Gastland der Frankfurter Buchmesse, was besonders viele isländische Neuerscheinungen, islandbezogene Veranstaltungen und Presseberichte mit sich brachte. 89 belletristische Titel erschienen zwischen Herbst 2010 und Herbst 2011 neu auf Deutsch. 25 davon stammen von Autorinnen, das sind gerade einmal 28 Prozent. Erfreulicherweise waren aber viele Autorinnen persönlich auf der Messe vertreten.

100_4136Island ist ein Land der Superlative, was damit beginnt, dass es sich um das geologisch jüngste Land der Erde handelt und damit aufhört, dass pro Kopf nur die US-Amerikaner*innen mehr Strom verbrauchen. Auch Frauen in der Politik werden immer wieder als Rekordhalter*innen dargestellt: Vigdís Finnbogadóttir war 1980 das erste gewählte weibliche Staatsoberhaupt, 1983 wurde die Frauenallianz als weltweit erste feministische Partei ins Althing gewählt und derzeit führt Jóhanna Sigurðardóttir als erste offen lesbische Premierministerin die Regierungsgeschäfte, was bedeutet, dass sie dafür verantwortlich ist, das nach dem Bankencrash 2007 schwer angeschlagene Land aus der Krise zu führen.

In der Literaturbranche rühmt man sich auch mit Weltrekorden. Gemessen an einer Gesamtbevölkerung von nur 320.000 Personen zeigt die Insel knapp südlich des Polarkreises mit jährlich 1.500 Neuerscheinungen in 42 Verlagen eine starke literarische Szene. Im Schnitt kaufen Isländer*innen acht Bücher im Jahr. Schriftsteller*innen können – so wie andere Künstler*innen – ein staatliches Gehalt beziehen, wenn sie bereits eine bestimmte Anzahl von Veröffentlichungen nachweisen. Ähnliche Voraussetzung gelten auch für eine Aufnahme in die isländische Schriftstellergewerkschaft. Nur ein Drittel der Mitglieder und ein Drittel der Autor*innen, die vom Schreiben leben können, sind allerdings Frauen, was deutlich macht, dass es auch in Island strukturelle Hindernisse für Frauen gibt, um am Buchmarkt zu reüssieren.

Bei den Übersetzungen ins Deutsche sinkt der Anteil von Autorinnen wie eingangs erwähnt noch etwas. Während die erfolgreichsten Autorinnen auf der Frankfurter Buchmesse gut vertreten sind, werden sie in der medialen Wahrnehmung oft ignoriert: Der Standard erwähnt in drei Seiten Text zur Buchmesse 17 Autor*innen namentlich, davon drei Frauen; im Kurier werden acht isländische Neuerscheinungen empfohlen, eines davon von einer Frau; in der Falterbuchbeilage: keine einzige isländische Autorin.

Erzähltraditionen

Weibliches Erzählen hat in Island eine weit zurückreichende Tradition. Die 100_4111mündliche Überlieferung von Dichtung in altnordischer Zeit folgte Formen wie Visionen, Zauberformeln, Arbeitsliedern, Klagegesängen oder Heilungsgedichten und wurde oft von Frauen weitergeben. Schriftlich erhalten ist die Liederedda, deren Texte zumindest zum Teil aus der Zeit vor dem 10. Jahrhundet stammen dürften, auch wenn sie erst später niedergeschrieben wurden. Diese Schilderungen von fantastischen mythologischen Figuren, übernatürlichen Erscheinungen und Heldentaten enthalten viele Anknüpfungspunkte an die Erfahrungswelt von Frauen der Wikingerzeit und geben Frauen in Form von Monologen auch eine Stimme. Aber mit der Christianisierung, den ersten (Kloster-)Schulen und der Verschriftlichung wurde Literatur zu einem männerdominierten Bereich.

In der modernen isländischen Literatur lassen sich trotz aller Diversität ein paar wiederkehrende Motive ausmachen: die karge, raue Natur und die imposante Landschaft mit Gletschern, eisigem Meer und heißen Quellen spielen in vielen Publikationen eine Rolle; ähnliches gilt für übernatürliche Erscheinungen, die sowohl aus den Liedern der Edda als auch den reichen Volksmärchen bekannt sind und bis heute Einfluss haben. Diese Motive zeigen sich in unterschiedlicher Ausprägung auch in den folgenden aus verschiedenen Genres ausgewählten Beispielen.

Kristín Steinsdóttir

In Kristín Steinsdóttirs Roman „Im Schatten des Vogels“ sind beide genannten Motive von Bedeutung. Es geht um die Geschichte Ljósas, die Ende des 19. Jahrhunderts auf einem einsamen Bauernhof aufwächst. Die Geschichten der alten Magd Kristbjörg sind genauso alltäglich für sie, wie der Brauch, der „Hauselfe“ etwas Milch zu bringen, um sie milde zu stimmen. Ljósa ist der Natur mit all ihren unsichtbaren Bewohner*innen stark verbunden. Als sie heranwächst, verliebt sie sich in einen jungen Mann, doch der Vater verbietet die Verbindung und schickt sie auf eine Mädchenschule nach Reykjavík. Trotzdem es immer Ljósas Wunsch gewesen war, etwas von der Welt zu sehen, und sie jetzt nähen und sogar Harmonium spielen darf, gleitet sie immer tiefer in die Depression. Nach einem Jahr kehrt sie zurück in die Herkunftsregion und heiratet einen Zimmermann. Die Spannungen zwischen ihrem Mann und ihrem Vater stürzen sie in innere Konflikte, für die ihr aber nach beinahe jährlichen Schwangerschaften und Geburten bald keine Kraft mehr bleibt. Lange Zeit wirkt sie einfach exzentrisch und widerspenstig, doch mit den Jahren manifestiert sich eine manisch-depressive Störung, für die sie keine adäquate Behandlung bekommt. Kristín Steinsdóttir schrieb diesen Roman in Anlehnung an das Schicksal ihrer Großmutter; um Milieu und Umstände des bäuerlichen Lebens im 19. Jahrhundert realistisch darstellen zu können, hat die für ihre Kinderbücher bereits preisgekrönte Autorin viele Jahre lang recherchiert. Die Figur der Ljósa ist mit viel Einfühlungsvermögen und Sympathie dargestellt; durch die Erzählung in der ersten Person sehen wir die Welt durch ihre Augen – so auch die damals weit verbreitete Methode, psychisch kranke Personen in eine „Narrenkiste“ einzusperren. Eine grausame Methode, doch, wie die Autorin sagt, ebenso eine „Maßnahme der Verzweiflung“ eines völlig überforderten Umfeldes.

Kristín Steinsdóttir: Im Schatten des Vogels. Roman. Übersetzt von Anika Lüders. 252 Seiten, C.H.Beck, München 2011      EUR 20,60

Yrsa Sigurðardóttir

Auch Yrsa Sigurðardóttir begann ihre Karriere als Kinderbuchautorin, wechselte dann aber ins Krimigenre, in dem sie auch im Ausland bekannt wurde. In ihrem neuesten Thriller „Geisterfjord“ kommt es in einem einsamen Fjord zu gespenstischen Begegnungen, die einer schon mal schlaflose Nächte bescheren können. Spurlos verschwundene Kinder sind als Krimithema schon gruselig genug, aber wenn sie dann auch noch als Geister wiederkehren! Die Verbindung außergewöhnlicher Umstände (völlige Isolation von der modernen Umwelt) mit psychischem Druck lassen die Grenzen zwischen materieller Wirklichkeit und Einbildung verschwimmen – so hofft die Leserin mit den Protagonist*innen, die sich wünschen, das was sie erleben seien nur Halluzinationen.

Yrsa Sigurðardóttir: Geisterfjord. Thriller. Übersetzt von Tina Flecken. 358 Seiten, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main 2011        EUR 9,30

Steinunn Sigurðardóttir

Ganz ohne Übersinnliches kommt hingegen Steinunn Sigurðardóttir in „Der gute Liebhaber“ aus. In sehr nüchternem, klaren Stil schreibt sie eine anfangs märchenhaft anmutende Geschichte von Karl, der, nachdem er in den USA ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist, nach Island kommt, um seine Jugendliebe zu entführen – was ihm dank einer Reihe ziemlich unwahrscheinlicher Zufälle auch gelingt. Ein Leben lang hatte er sich nach Una verzehrt; keine seiner zahlreichen Geliebten, fast alle äußerlich perfekt, konnten ihn über seinen Verlust trösten. Er hält sich für einen „guten Liebhaber“, der eine Frau perfekt befriedigen kann. Er selbst „verzichtet“ dabei auf den Orgasmus. Doch gerade als sich das Märchen mit Una zu erfüllen scheint, erinnert Karl sich an Doreen, eine der weniger perfekten Geliebten, die hinter seine Fassade blickte, die ihn mit seiner Masche des perfekten Liebhabers nicht so einfach davon kommen ließ, und ihn dadurch gleichzeitig abstieß und anzog.

Steinunn Sigurðardóttir: Der gute Liebhaber. Roman. Übersetzt von Coletta Bürling. 223 Seiten, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011            EUR 18,50

Kristín Marja Baldursdóttir

Eine Autorin, die von sich sagt: „Gleichberechtigung war meine Vision als ich mit dem Schreiben begann“, ist Kristín Marja Baldursdóttir. Im deutschsprachigen Raum wurde sie 2001 mit „Möwengelächter“ bekannt, das später auch verfilmt wurde. Ihre älteren Romane sind gerade als Taschenbücher neu aufgelegt worden. Neu erschienen ist der Roman „Sterneneis“, der eine 14-Jährige und eine Frau in den 50ern in ein einsames Ferienhaus ohne Strom und damit ohne Handy, Internet und Fernsehen verschlägt, wo sie ein ganzes Wochenende zusammen verbringen. Sie finden einen Draht zueinander, als die Ältere beginnt, der Jüngeren Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen.

Kristín Marja Baldursdóttir: Sterneneis. Roman. Übersetzt von Ursula Giger. 240 Seiten, Krüger Verlag, 2011   EUR 17,50

Es bleibt zu hoffen, dass das Interesse an isländischer Literatur auch nach der Buchmesse weiter anhält. Ob historisch oder gegenwärtig, ob übersinnlich oder ganz ohne Elfen und Trolle. Die isländische Literatur hat viel zu bieten. Kein Wunder, dass die Isländer*innen so gerne lesen.

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Lo

Eine neue Stadt, sündteure neue Stiefel, ein fremder Mann für eine Nacht. Das sind die Dinge, die Lo (sprich „Lu“) sich am Leben fühlen lassen. Doch Lo ist auf der Suche. Sie kehrt zurück ins Dorf ihrer Kindheit. Eine Kindheit umgeben von Verwandten, die aus ökonomischen Gründen von Norrland nach Schonen ziehen mussten. Ein Vater, der eines Tages wegging. Ein Unglück, das früher in Norrland geschehen war und über das niemand sprach. Und dann gab es da noch Lukas, den Jungen aus dem Dorf, den alle eigenartig oder gar gefährlich fanden, der sich aber trotz sechs Jahren Altersunterschieds mit Lo anfreundete. Die Erwachsenen betrachteten diese Beziehung mit Argwohn, verbaten sie. Doch Lo und Lukas waren seelenverwandt, später auch verliebt, bis der Tod von Lukas Vater und ein Brand alles aus dem Lot brachten.

Die schwedische Autorin Anne Swärd schreibt in ihrem zweiten auf Deutsch erschienenen Roman über eine Frau auf der Suche nach ihrer Herkunft und dem Menschen, der ihr je am meisten bedeutet hat. Eine schmerzhafte Suche. Aus verschiedenen Erzählperspektiven – einmal aus der Vergangenheit, einmal aus der Gegenwart – nähert sich die Ich-Erzählerin einer Geschichte über das Erwachsenwerden, über die unterschiedlichsten Gründe, warum Menschen einander anziehend finden und nicht zuletzt auch einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Sehr empfehlenswert.

Anne Swärd: Bis zum letzten Atemzug. Roman. Übersetzt von Sabine Neumann. 346 Seiten, Suhrkamp Nova, Berlin 2011     EUR 15,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Katariinas Vater

Katariinas Vater hat sie und ihre Mutter verlassen, als sie zwei war. Bewusste Erinnerungen an ihn hat sie keine, nur an das Telefonat, als sie zwölf war, und sie ihm mitteilte, dass sie sich „nicht mit fremden Männern trifft.“ Jetzt ist Katariina mit dem Fotografen Olli verheiratet und selber Mutter. Sie wohnt mit ihrer Familie auf Suomenlinna, einer Insel in Helsinki – zentral und dennoch abgeschieden. Der Frühling kommt langsam ins Land, als eines morgens der Alltag aus den Fugen gerät: die Polizei steht vor der Tür und teilt Katariina mit, dass ihr Vater gestorben sei. Kann es sein, dass der Tod eines Unbekannten eine so aufwühlt? Es kann. Und noch mehr die Tatsache, dass sie drei Halbgeschwister hat. Es beginnt eine unwirkliche Zeit der Trauer, die Katariina so unpassend vorkommt. Praktische Dinge müssen organisiert werden, die Geschwister kommen zu Besuch. Die Tochter distanziert sich von ihr und die Beziehung zu Olli fährt Achterbahn.

Erzählt wird aus ständig wechselnder Perspektive: alle ProtagonistInnen kommen in Ich-Form zu Wort, während Katariinas Sichtweise in der dritten Person erzählt wird – womit die Leserin ihr genauso wenig nahe kommt wie ihre Umwelt. Ein großartiges Buch mit einem Kaleidoskop unterschiedlicher Charaktere, in dem tiefe Gefühle genauso Platz haben wie humorvolle Episoden. Gleich lesen!

Katja Kallio: Zeit der Zugvögel. Roman. Übersetzt von Alexandra Stang. 347 Seiten, Krüger Verlag, Frankfurt/Main 2011       EUR 17,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Das blaue Haus

Leonarda kommt regelmäßig mit ihrer Mutter in ein etwas unheimliches Haus zum Putzen. In einem Zimmer dieses Hauses liegt eine seltsame Frau im Bett, drumherum viele interessante Gegenstände, Malutensilien, ein großer Spiegel. Eines Tages kommen Leonarda und die Frau in Kontakt. Die Frau spricht nicht – sie ist sehr krank – aber sie schreibt Fragen auf. Leonarda ist traurig und durcheinander, weil ihre Schwester im Krankenhaus liegt und mit dem Tod kämpft. Die Frau scheint Leonarda zu verstehen und spendet ihr Trost. Doch das kann das Schicksal nicht aufhalten.

Mit Ausschnitten aus Frida Kahlos Gemälden gestaltet die Illustratorin Hilde Kramer ein eindrucksvolles Bilderbuch; in den Texten von Bjørn Sortland werden Ausschnitte von Kahlos Leben skizziert; ohne biografische Tatsachen aufzuzählen, entsteht dabei ein einprägsames Stimmungsbild. Am Ende des Buches finden sich Erklärungen sowie eine Aufstellung aller verwendeten Bilder Kahlos. Eine außergewöhnliche Art Kindern Kunstgeschichte näher zu bringen, die überzeugt.

Bjørn Sortland: Frida. Im blauen Haus meines Herzens. Illustrationen von Hilde Kramer. Übersetzt von Christel Hildebrandt. 48 Seiten, Benteli, Bern 2011            ab 9 J. EUR 18,00

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011