Lyrik in zwei Sprachen

„Der Sonnenball/Schwindet in die Polarnacht/Um im Frost zu verglimmen“ – es sind Verse wie dieser, die in der Gedichtsammlung „Sahne für die Sonne“ der samischen Autorin Inger-Mari Aikio die acht Jahreszeiten Lapplands fühlbar machen. Entstanden sind die Gedichte in einem gemeinsamen lyrischen Musikprojekt der Autorin mit dem finnischen Musiker Miro Mantere. Der Form nach sind die kurzen Gedichte eine Mischung aus Haiku und Tanka, die Aikio „Taiku“ nennt. Ausgehend von Naturmotiven schrieb die zweisprachige Autorin insgesamt über 300 Gedichte, teilweise auf Samisch, teilweise auf Finnisch, wobei immer zwei einander inhaltlich entsprechen, aber nicht wortwörtlich übersetzt sind, sondern in der jeweiligen Sprache die selbe Wirkung mit den jeweils am besten passenden sprachlichen Mitteln erzeugt wird. Um diese Dopplung auch für eine deutsche Ausgabe nachvollziehbar zu machen, wurde mit zwei (ebenfalls verwandten) Zielsprachen – Deutsch und Englisch – gearbeitet. Studierende der Uni Bielefeld arbeiteten dafür mit erfahrenen Dozentinnen und professionellen literarischen Übersetzerinnen zusammen. Das Ergebnis ist somit nicht nur in den lyrischen Naturbeschreibungen in jeder Sprache interessant, sondern auch in der Zusammenschau beider Übersetzungen und dem Herantasten an die sprachlichen Nuancen. „Even the sun must/Surrender into the polar night/Let it lead into the frost”. Ein Must-Read.

Inger-Mari Aikio: Sahne für die Sonne. 94 Seiten. Verlag Hans Schiler, Berlin/Tübingen 2018     EUR 16,50

Nachschau: Adventsverlosung

Das erste Gewinnspiel hier auf nordstein.at ist am Samstag mit einer ganz offiziellen Ziehung – aus einer ganz echten „Michelmütze“ („mysse“ wie der kleine Småländer statt der hochschwedischen Variante „mössa“ immer sagt) – zu Ende gegangen.

Als Trostpreise konnten für jene, die keine Kinokarten gewonnen haben, auch noch zwei Bände aus der Lindgrenreihe verlost werden, die vom Filmverleih zur Verfügung gestellt wurden.

Ich wünsche allen Gewinnerinnen gute Unterhaltung im Kino bzw. mit der Lektüre!

NordNerds Thema – Das Nordlicht

In einer Woche ist Tag-und-Nacht-Gleiche, das heißt Tag und Nacht sind an diesem Tag gleich lang, danach werden die Tage bis zur Wintersonnwende immer kürzer – je weiter nördlich, desto dunkler wird es nun. Doch einen großen Vorteil hat diese Dunkelheit, sie lässt auch die Nordlichter wieder strahlen.

Aurora Borealis heißt das Phänomen der meist grünen, wasserfallartigen Farbschleier, die in der Atmosphäre sichtbar werden auf Lateinisch, Morgenröte des Nordens. Zwischen mystischen Bedeutungszuschreibungen und wissenschaftlichen Erklärungsversuchen ist die Beobachtung des Naturschauspiels auch heute noch ein unvergessliches Erlebnis. Zahlreiche Reisende machen sich daher jeden Winter auf in die einsamen, dunklen Gegenden des nördlichen Europas, um die Polarlichter zu sehen. Voraussetzungen sind nicht nur Durchhaltevermögen – das Nordlicht zeigt sich oft erst nach Mitternacht in voller Pracht – und hohe Kältetoleranz respektive polarnachttaugliche Kleidung, sondern auch noch eine gute Portion Glück, denn nicht nur wolkenloses Wetter ist notwendig, sondern vor allem das Stattfinden von Sonnenstürmen, bei denen geladene Teilchen Richtung Erde ausgestoßen werden, die dann durch das Magnetfeld an die Pole gelenkt beim Eindringen in die Atmosphäre zu diesen grünen, blauen, roten und weißen Lichtspektakeln führen. Soweit zumindest die vereinfachte Erklärung.

Über das Nordlicht wird natürlich auch allerhand geschrieben und gebloggt, weshalb es mich besonders freut, mich als frischgebackenes Mitglied der NordNerds auf die Suche nach spannender Lektüre zu machen. Die NordNerds bilden eine Vernetzungsinitiative von Bloggerinnen und Bloggern mit nordischem Schwerpunkt, von Reise- über Designblogs bis zu Foodblogs spannt sich der Bogen – und ja Buchblogs zum Norden gibt es auch.

Und Bücher sind für mich natürlich auch der Ausgangspunkt für diese Reise in polare Blogpostgefilde. Die meisten Romane, deren Handlung im hohen Norden spielt, kommen um die Beschreibung der dort so präsenten Naturphänomene nicht herum, seien es die hellen Mittsommernächte oder die winterlichen Polarlichter. Diese sind aber nicht nur Kulisse, sondern vielmehr essentiell für die literarische Gestaltung und Vermittlung eines Verständnisses davon, was es heißt, in diesen Regionen tatsächlich zu leben und nicht nur eine Woche staunend durch den Schnee zu stieben. Beim Kramen im eigenen Archiv bin ich dabei auf den Roman Nordlicht der österreichischen Autorin Melitta Breznik gestoßen, die ihre Protagonistin zur Selbstfindung auf die winterlichen Lofoten reisen lässt, freilich ein psychologisch wagemutiges Unterfangen in einer Krisensituation.

Für KrimiliebhaberInnen hat der Norden des Nordens natürlich auch einiges zu bieten. Ich möchte hier aber nur auf eine meiner Lieblingsautorinnen Åsa Larsson hinweisen, die leider nun schon länger keine Kriminalromane mehr veröffentlicht hat, dafür aber im Jugendbuchgenre erfolgreich ist. Ihre Krimiserie um die Hauptfigur Rebecka Martinsson ist inzwischen auch verfilmt worden und im deutschen Fernsehen gelaufen. Den Auftakt bildet der Band Sonnensturm (orig. Solstorm) – mit jeder Menge Spannung unter Nordlichtern.

Schließlich möchte ich auch noch von meinem ersten Eindruck einer eben auf Deutsch und Englisch erschienen Gedichtsammlung Sahne für die Sonne der samischen Autorin Inger-Mari Aikio berichten. Im Original stehen einander samische und finnische Versionen von Naturgedichten gegenüber. Dieses Nebeneinander der Sprachen, in denen gleiche Stimmungen nicht immer in wörtlicher Übereinstimmung wiedergegeben werden können, wird so nachempfunden. Dem Nordlicht sind unter anderem folgende Zeilen gewidmet:

Die Winde spielen
Auf der Lichtorgel des Himmels
Die Melodie hüpft auf dem Schnee

Die Rezension folgt bald auf nordstein.at.

Nachdem jetzt also schon für die literarische Einstimmung gesorgt ist, kann es an die Reiseplanung gehen. Einen sehr guten Einstiegsartikel Wenn in Schweden Winter ist, … findet ihr auf Rikes Blog Schweden und so – dort wird nicht nur genauer als von mir eben erklärt, wie das Nordlicht in seinen verschiedenen Ausformungen entsteht, sondern auch wann und wo man die besten Chancen hat, es zu erleben. Dazu sind extra auch einige Links zu Vorhersageplattformen angegeben sowie Tipps für vertiefte Vorbereitung in Sachbüchern und Bildbänden.

Auf Die Jagd nach dem Polarlicht geht auch Elke auf ihrem Meerblog, und zwar ganz konkret in Island. In einer Reportage so farbenprächtig wie das Nordlicht lässt sie uns teilhaben an ihren Erlebnissen. Michaela wiederum, die auf ihrem Blog MAHTAVA regelmäßig von ihren Auszeiten im finnischen Mökki jenseits des Polarkreises berichtet, kennt dort alle Jahreszeiten hautnah. Wie es ist, so ein Polarlicht öfter zu beobachten, erzählte sie zuletzt in Kaamos – Finnische Rauhnächte. Auch Tarja hat Erfahrungen mit der tanzenden Lady Aurora in Finnland gemacht. Lasst euch von Tarjasblog inspirieren.

Tolle Fotos begleiten alle genannten Blogbeiträge, doch alle, die schon versucht haben, das Nordlicht einzufangen, wissen, dass das alles andere als leicht ist. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie ich – vor Eintritt ins Digitalfotografiezeitalter – ausgestattet mit Spezialfilmen, Spiegelreflexkamera und Zubehör bei minus 30 Grad mitten am zugefrorenen Torneälven in Jukkasjärvi stand und fast festfror. So richtig prachtvoll war das Nordlicht dann aber erst eine Stunde später, als ich mich längst zum Aufwärmen nach drinnen begeben hatte. Die Kamera war dann aber vom Hitzeschock ganz angelaufen und an diesem Abend nicht mehr zu gebrauchen. Wie es richtig geht, verraten viele Bücher wie jenes, das Sabine auf dem Travel Stories Reiseblog vorgestellt hat. Und wenn ihr schon dort seid, könnt ihr auch gleich noch nachlesen, wie man Nordlichter in einer Fischerhütte auf den norwegischen Lofoten bestaunt.

Wieder zu Hause angelangt, ist meine Strategie, dem Fernweh standzuhalten, das Stöbern auf Instagram. Gerade auch, um mir Leseideen zu holen. Und da ich weiß, dass gar nicht so wenige von euch eine skandinavische Sprache können, hier noch ein paar Links zu nordischen BücherblogkollegInnen auf Instagram. Dort findet ihr die neuesten Krimis, viele Kinder- und Jugendbücher, schwedische Buchtrends und dann noch norwegische Bücherreisen.

Viel Spaß beim Schmökern!

 

Im Fluss

forstenson_sprache_und_regen1Mit „Sprache und Regen“ brachte der Hanser Verlag im Frühjahr 2016 einen Lyrikband der Schwedin Katarina Frostenson heraus. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Gedichten, die im Original zwischen 1999 und 2011 in vier unterschiedlichen Gedichtbänden erschienen. Frostenson wurde 1953 in Stockholm geboren, verfasste neben Lyrik auch Dramen und Prosa und arbeitet als Übersetzerin aus dem Französischen. Als Mitglied der Schwedischen Akademie ist sie sowohl als Frau als auch als Lyrikerin die Ausnahme von der Regel. In den 1980er Jahren, als Frostenson in Schweden zu einer der bedeutendsten Lyrikerinnen avancierte, wurde ihr Werk als wichtiger Repräsentant einer neuen weiblichen Poesie verstanden, die sich weigert sich an bestehende Formen anzupassen, ins innerste der Sprache vordringt und eine metaphorische Lyrik hervorbringt. Inzwischen hat sich ihr Stil weiterentwickelt und die Rezeption geändert, in der Geschlecht keine dominante Kategorie mehr ist. Ihr Sprachspiel und ihre Virtuosität – sie gilt als eine der am schwersten zugänglichen LyrikerInnen Schwedens – werden durch Funken von Humor ergänzt, die oftmals nur auf Zeichenebene aufblitzen. Die Gedichte in „Sprache und Regen“ entführen an die unterschiedlichsten Orte im Äußeren und Inneren. Regen, Flüsse, die Welt ist im Fluss. Poesie, auf die eine sich einlassen muss.

frostenson_sprache_und_regen2Besonders erfreulich für mich war eine Veranstaltung der Alten Schmiede gemeinsam mit der Schwedischen Botschaft in Wien im letzten Juni, die sich der Lyrik von Frostenson und Lotta Olsson widmete. Die zweisprachigen Lesungen waren ein Vergnügen und eine Widmung im schönen Lyrikband gab es am Ende auch.

Katarina Frostenson: Sprache und Regen. Aus dem Schwed. von Verena Reichel. 96 Seiten, Hanser, München 2016 EUR 16,40