Mord an der Ostsee

Flora stammt aus einem kleinen Dorf an der Küste, wo vor vielen Jahren, als sie noch ein Kind war, einer ihrer Freunde beim Spielen getötet wurde. Aufgrund von Aussagen der ZeugInnen und Indizien gab man damals Flora die Schuld. Sie selbst konnte sich an das Geschehene nicht erinnern und kam nach einem Zusammenbruch in die Jugendpsychiatrie. Ihr Vater brachte sich um, die Mutter wollte sie nicht mehr bei sich haben. Nun kehrt Flora zurück ins Dorf und als wäre das allgemeine Misstrauen nicht schon genug, stirbt auch noch Floras Nachbarin. Sie wurde vergiftet. Schnell ist im Dorf jede und jeder irgendwie verdächtig, Intrigen werden geschmiedet, Geheimnisse mit immer neuen Geheimnissen vertuscht. Bald scheint auch Flora in Gefahr. Kommissarin Korittki kennt solche Milieus und lässt auch nicht locker. Vor traumhafter Ostseekulisse wie immer lässt Eva Almstädt die uns vertraut gewordenen Kommissarin ermitteln. Von Erholung und Urlaub keine Spur. Spannend bis zum Ende und durch die Verknüpfung mit dem früheren Kriminalfall vielschichtiger als zuletzt. Was nach meinem Geschmack etwas zu viel war, war der Schicksalsschlag, der Korittki dann auch noch trifft – da rutscht die sonst solide Krimiserie ein bisschen Richtung Seifenoper.

Eva Almstädt: Ostseerache. Pia Korittkis dreizehnter Fall. 414 Seiten, Bastei Lübbe, Köln 2018 EUR 10,30

Erbarmungslos

Nachdem gerade erst vor einem Jahr mit „DNA“ eine neue Krimiserie der Isländerin Yrsa Sigurdardóttir auf Deutsch startete, können wir uns schon über den zweiten Band „SOG“ freuen. Das heißt, freuen ist so eine Sache. Nach den grausamen Morden in „DNA“ werden wir diesmal mit der zehn Jahre zurückliegenden Vergewaltigung und dem Mord an einer Schülerin konfrontiert. In einer Zeitkapsel wird eine Liste von Initialen gefunden, die Menschen auflistet, die nun zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Da dauert es auch nicht lange, bis erste Leichenteile auftauchen. Alles sehr grauslich und nichts für sensible Gemüter. Doch der nach den Ereignissen in „DNA“ degradierte Polizist Huldar und die Kinderpsychologin Freyja, die ebenfalls ihre leitende Stelle verloren hat, leisten wieder gute Arbeit und treten dabei auch Vertretern besserer Kreise auf die Zehen. Und vielleicht klappt es dann ja doch noch mal mit einer liebevollen Annäherung zwischen den beiden. Für harte Krimifans ein Fall aus dem eiskalten Norden.

Yrsa Sigurdardóttir: SOG. Aus dem Isländ. von Tina Flecken. 444 Seiten, btb, München 2017 EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2017

Finnischer Winter

Zum vierten Mal schickt die finnische Autorin Leena Lehtolainen ihre Heldin Leibwächterin Hilja Ilveskero zu einem neuen Auftrag. Auf einem einsamen Landgut wohnt die sehr alte Dame Lovisa Johnson, die befürchtet, dass man ihr nach dem Leben trachtet. Hilja soll sie beschützen. Schnell tauchen jede Menge Verwandte auf, denen Hilja nicht unbedingt traut, gibt es doch ein großes Erbe zu erwarten. Seltsame Dinge geschehen, auf Hilja wird geschossen und Geschichten aus längst vergangenen Zeiten verweben sich mit der Gegenwart. Für Spannung ist gesorgt. Hilja ist tough wie immer, aber stabiler und konzentrierter als in den letzten Bänden. Überhaupt spielt die Vergangenheit wenig Rolle und das Buch funktioniert auch alleinstehend wunderbar. Mit Lovisa erhält die Heldin außerdem Gesellschaft von einer interessanten Figur, deren Geschichte als alleinstehende Gutsherrin und Unternehmerin auch sozialpolitische Fragen streift. Immer wieder gerne!

Leena Lehtolainen: Schüsse im Schnee. Aus dem Finn. von Gabriele Schrey-Vasara. 381 Seiten, Rowohlt, Reinbek/Hamburg 2017 EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2017

Esoterischer Norden

Krimiserien erfreuen sich ja bekanntlich großer Beliebtheit, wobei der „kriminelle“ Inhalt manchmal zugunsten der Entwicklung der Hauptfiguren in den Hintergrund rückt. Darum ist es auch mal spannend, in eine Serie bei Fall Nummer sieben einzusteigen. Hanna Hemlokk ist nicht nur Privatdetektivin, sondern auch Autorin schmalziger Liebesromane. Wie gut, dass während einer kleinen Schreibblockade ein Kriminalfall auftaucht. Eine Witwe glaubt nicht, dass der Tod ihres Mannes ein Unfall war, und beauftragt Hanna. Aber auch in ihrer direkten Umgebung geht es rund. In dem kleinen schleswig-holsteinischen Dorf wimmelt es nur so von BesucherInnen eines geheimnisvollen Kornkreises. Nicht nur, dass Hanna genervt von deren esoterischem Gelaber ist, kaufen sie auch noch die lokale Bäckerei leer, gerade als Hanna dringend eine Cremeschnitte möchte. Als plötzlich eine der „Channeling“-Expertinnen auf mysteriöse Weise verschwindet und Hanna auch in diesem Fall ermittelt, wird es fast ein wenig unübersichtlich. Eine rasant erzählte Geschichte mit skurrilen Episoden und ganz sicher ohne Thrillerelemente, die eine nicht gut schlafen lassen. Nur der aufgekratzte Ton und die große norddeutsche Klappe der Heldin können manchmal etwas anstrengend werden.

Ute Haese: Buttgeflüster. Der siebte Fall für Hanna Hemlokk. Küsten Krimi. 333 Seiten, emons, Köln 2017 EUR 12,30

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2017

Anne holt Hanne zurück

Kreischende Hanne Wilhelmsen-Fans stürmen die Buchläden… Nein, im Ernst, für alle treuen Leser*innen der norwegischen Krimiautorin Anne Holt bietet der neueste Fall Gelegenheit, altbekannte Protagonist*innen wieder zu treffen. Holt ist als Autorin nicht zimperlich mit ihren Figuren. Kriminalpsychologin Johanne Vik ereilte nach der Lösung ihres letzten Falles ein plötzlicher Tod; Hanne Wilhelmsen, in acht Bänden seit den 1990er Jahren Kommissarin, wurde nach einigen durchlebten privaten Katastrophen im Dienst angeschossen und verbrachte die darauffolgenden Jahre völlig zurückgezogen auf den Rollstuhl angewiesen. Jetzt wird sie auf zweifache Weise wieder aktiv. Offiziell arbeitet sie an sogenannten „cold cases“, also an ungeklärten Fällen aus der Vergangenheit. Und dann steht eines Tages ihr alter Kollege Billy T. vor der Tür, er braucht Hilfe. Doch noch bevor überhaupt klar wird, ob die beiden wieder einen Weg finden, miteinander umzugehen, detoniert in Oslo eine Bombe und das Chaos bricht los. Alte Traumata nach den Anschlägen von 2011 brechen auf, es gibt Spekulationen und ein islamistisches Bekennervideo. Es gibt Zweifel, Ungereimtheiten und eine Gruppierung, die es schafft, völlig unabhängig von digitalen Medien zu kommunizieren. Intelligent, politisch aufmerksam und wie immer haarscharf an der Realität schafft Holt Hochspannung. Pflichtlektüre für Krimiaffine.

Anne Holt: Ein kalter Fall. Aus dem Norw. von Gabriele Haefs. 432 Seiten, Piper, München-Berlin-Zürich 2017EUR 22,70

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

Mord in Island

Lesenachschub gibt es aus der isländischen Thrillerszene. Yrsa Sigurðardóttir, die im Hauptberuf als Ingenieurin Kraftwerksprojekte leitet, hat mit „DNA“ den ersten Band einer geplanten Reihe vorgelegt, die sich um das Ermittlungsduo von Kinderpsychologin Freyja und Kriminalkommissar Huldar drehen. Nach einem bestialischen Mord – mit einem Staubsauger, nach Jahrzehnten an Krimiboom wird es zunehmend schwieriger in dieser Hinsicht originell zu sein – bei dem ein Kind Zeugin wurde, treffen die beiden bei der Befragung zusammen. Und wie das auf Island so ist, kennt jede quasi jeden, in diesem Fall von einem One-Night-Stand, bei dem beide nicht ganz die Wahrheit von sich erzählt haben. Neben den Ermittlungen in einer sich zur Mordserie auswachsenden Kette von Ereignissen, die in der Vergangenheit ihren Ursprung haben, gibt es also auch genug privaten Zündstoff, der in den folgenden Bänden wohl seine Fortsetzung finden wird. Solide Krimihandlung, sympathische Charaktere, so geht Islandkrimi.

Yrsa Sigurðardóttir: DNA. Aus dem Isländ. von Anika Wolff. 480 Seiten, btb, München 2016EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

Vintage Krimi

Lang_LandfriedhofMaria Lang galt in den 1950er Jahren als „Krimikönigin“ Schwedens, ein Titel, den nach ihr noch eine Reihe von Autorinnen von der Kritik verliehen bekommen sollten. Lang war mit 42 zwischen 1949 und 1990 erschienen Kriminalromanen ihre Wegbereiterin. Vor ein paar Jahren wurde sie in Schweden neu entdeckt, ein paar ihrer Bücher verfilmt und nun beginnt die internationale Verbreitung. Im Titel „Tragödie auf einem Landfriedhof“ wird eine klassische Kriminalgeschichte im Stile von Miss Marple erzählt, und zwar aus der Perspektive einer jungen Literaturwissenschaftlerin, ihres Zeichens Rolemodel eines neuen Frauenbildes, intellektuell, gebildet, berufstätig. Und dennoch brave Ehefrau, apart gekleidet, die Nase über den Vamp in der Nachbarschaft und die unverhohlenen Blicke der Männer rümpfend. Eine ganz spannende Zeitreise also. Ach ja, einen Mord gibt es auch. Zu Weihnachten in der Nachbarschaft eines Pfarrhofs. Ganz nett konstruiert, mit versteckten Hinweisen, vielen Gesprächen mit Verdächtigen, Schauplatzskizzen, Zeittabellen, teilweise etwas klischeehaften Figuren. Aber das Besondere des Buches liegt eindeutig in der zeitgeschichtlichen Milieuschilderung.

 

Maria Lang: Tragödie auf einem Landfriedhof. Aus dem Schwed. von Stefan Pluschkat. 235 Seiten, btb Verlag, München 2015      EUR 17,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2016

Finnische Juwelen

Lehtolainen_EchodeinertatenMaria Kallio ist wieder da. Ihre Abteilung bei der Espooer Polizei steht vor der Auflösung, doch ein Fall ist noch zu lösen: der Juwelenhändler Jaakko Pulma wurde in einer Kirche ermordet. Was das Motiv angeht, tappen die ErmittlerInnen lang im Dunkeln. Jede Menge Leute machen sich verdächtig, der konkurrierende Geschäftsmann, die ehemalige Mitarbeiterin, ein psychisch kranker Jugendlicher. Dazu kommt, dass die Frau des Ermordeten eine aufstrebende Parlamentsabgeordnete ist und Zusammenhänge der Tat mit einem Familienunglück in ihrer Vergangenheit nicht ausgeschlossen werden können. Ihr junger, hochmotivierter Assistent wiederum drängt bei jeder Gelegenheit ins Rampenlicht. Kallio muss also vor allem Ordnung ins große Personenregister bringen. Ein weiterer Mord, eine Bombendrohung und ein Showdown auf der Langlaufloipe bringen Spannung. Dennoch ist alles ziemlich Routine, professionell, aber als Kallio-Fan wünscht eine sich, sie möge nun an eine Stelle versetzt werden, wo es wieder neuen Pep gibt.

Leena Lehtolainen: Das Echo deiner Taten. Maria Kallio ermittelt. Aus dem Finn. von Gabriele Schrey-Vasara. 413 Seiten, Kindler, Reinbek b. Hamburg 2016        EUR 10,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2016

Pia Korittki in Serie

Bis zum zehnten Band hat es gedauert, bis es Eva Almstädt mit ihrer almstaedt_ostseefeuer Kommissarin Pia Korittki in den WeiberDiwan geschafft hat. Eine gute Nachricht also für alle Krimi-Serien-Liebhaberinnen – hier gibt es reichlich Lesefutter für die nächsten Wochenenden! Der Bogen spannt sich dabei vom ersten Fall, in dem Korittki neu ins Lübecker Kommissariat kommt und mit allerhand sexistischen Kollegen zu kämpfen hat, die nicht gerne Frauen in ihren Reihen sehen, bis zum aktuellen Band, in dem neben der Mörderjagd der Sorgerechtsstreit mit ihrem Ex vor Gericht endet.

Ermordet wurde der Pastor eines kleinen Dorfes an der Ostsee. Motiv und mögliche Feindschaften sind diffus. Die befragten Personen sind in ihrer Auskunftsfreudigkeit eher zurückhaltend, manche verweigern sich ganz. Bis eine dem Pastor nahestehende Person schwer verletzt gefunden wird – war es ein Anschlag, ein Unfall, ein Selbstmordversuch? Es bleibt spannend bis zum Schluss.

Eva Almstädt ist es nicht nur gelungen, eine sympathische und glaubwürdige Hauptfigur zu erschaffen, sondern auch gute, spannende Krimis zu schreiben. Der Lokalkolorit Lübecks und der umliegenden Küsten ist ein Plus für alle, die die Region mögen, aber nicht Mittel zum Zweck wie in vielen „Regionalkrimis“. Die Geschichten würden in ihrer Gesellschaftskritik auch anderswo funktionieren und sind bemüht, Klischees zu vermeiden. Weiter so!

Eva Almstädt: Ostseefeuer. Pia Korittkis zehnter Fall. 380 Seiten, Bastei Lübbe, Köln 2015          EUR 10,30

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2015

Tatort Villengegend

holt_schattenkindAnne Holt ist zurück mit einem Krimi um das Duo Yngvar Stubø, Kommissar, und Inger Johanne Vik, Kriminalpsychologin. Es ist der Nachmittag des 22. Juli 2011, als Inger Johanne eine alte Freundin besucht und sich am Ort eines Unglücks wiederfindet – der 8-jährige Sohn der Freundin ist tot, dem ersten Anschein nach von einer Leiter gestürzt. Inger Johanne ist mit verzweifelten Eltern konfrontiert und wird immer tiefer in den Fall hineingezogen. Die gewohnten Polizeiroutinen funktionieren an diesem Tag nicht, doch für Inger Johanne dauert es Stunden, bis sie erfährt, was an diesem Nachmittag im Osloer Regierungsviertel und auf der Insel Utøya passiert ist. Yngvar sieht sie tagelang fast gar nicht, allein mit einem Polizeineuling ermittelt sie in dem Fall, in dem sich immer mehr Fragen auftun. Dem großen nationalen Trauma stellt Holt die Trauer einer Familie um ihr Kind gegenüber. Doch in dieser Familie kam der Tod nicht überraschend von außen, sondern langsam aus dem nächsten Umfeld. Alle Hinweise wurden übersehen oder verschwiegen, doch die tägliche Gewalt gegen Kinder gibt es trotzdem. Ein Krimi, der ohne viel Blut, ohne todesmutige ErmittlerInnen, ohne mafiöse Schurken und ohne Nahkampf für Gänsehaut sorgt und auf der allerletzten Seite noch eine Wendung hinzufügt, über die Anne Holt-Fans noch einige Zeit zu grübeln haben.

Anne Holt: Schattenkind. Kriminalroman. Übersetzt von Gabriele Haefs. 332 Seiten, Piper, München 2013      EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2014