Mörderische Moral

Die schwedische Autorin Kerstin Ekman versetzt die LeserInnen diesmal ins Jahr 1919. Der Arzt Pontus Revinge blickt zurück auf 13 ereignisreiche Jahre, in denen er sich viele Notizen gemacht hat. Diese will er nun noch einmal lesen will, bevor er sie vernichtet. Vieles in seinem Leben ist von der Überzeugung, ja Besessenheit, bestimmt, dass er einst den Autor Hjalmar Söderberg zu dessen berühmten Roman „Doktor Glas“ inspirierte. Dieser Roman löste bei seinem Erscheinen 1905 einen Skandal aus, kreiste er doch um die Frage, ob es eine moralische Rechtfertigung für einen Mord geben kann. Revinge in Ekmans Roman bildet sich also ein, einen wichtigen Anstoß zu Söderbergs Roman geliefert zu haben. Tatsächlich wird er selbst zum Mörder. Als sich die Gelegenheit bietet, tötet er den Arzt, für den er arbeitet. Dieser ist ihm schon länger verhasst, weil er in Revinges Augen seine Stieftochter belästigt. Scheint seine Motivation erst noch sympathisch, zeigt sich allzu bald, dass Revinge unter anderem in dieser Hinsicht in die Fußstapfen seines Arbeitgebers steigen will.

„Tagebuch eines Mörders“ ist ein kunstvoll angelegter Roman, der mit der Spannung zwischen Fiktion und Tatsachen spielt und so auch die oft völlig an jeder Realität vorbeigehenden Gedanken der Hauptfigur spiegelt. Wie schon früher in Ekmans Werk dreht sich vieles um die Lebensbedingungen von Frauen zu jener Zeit: etwa die Umstände von Abtreibungen oder die ersten Frauen, die es schafften Ärztinnen zu werden. Ein grundsätzliches Thema ist hierbei die Verfügbarkeit weiblicher Körper für Männer – und die Rolle von Ärzten dabei. Das Buch ist mit seinen vielen Anspielungen eine Fundgrube für Literaturwissenschaftlerinnen, aber auch eine anspruchsvolle Lektüre für alle anderen Literaturbegeisterten.

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders. Roman. Übersetzt von Hedwig M. Binder. 245 Seiten, Piper, München 2011         EUR 18,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2011

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