Film des Lebens

oeyehaug_waergernwieichbinDie Autorin Gunnhild Øyehaug hatte mit ihrem ersten Roman „Ich wär gern wie ich bin“ in Norwegen gleich durchschlagenden Erfolg. In mehreren Erzählsträngen begleitet sie ihre ProtagonistInnen durch das heutige Norwegen und seine Kreativszene: da ist die Literaturstudentin Sigrid, die mit ihren hochtrabenden Gedanken oft ganz allein bleibt. Als sie zufällig dem Autor Kåre begegnet, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat, glaubt sie endlich jemanden gefunden zu haben, der sie versteht. Doch Kåre hat seine Vergangenheit noch nicht abgeschlossen. Dann ist da die angehende Filmemacherin Linnea, die auf ein Wiedersehen mit Göran hofft, mit dem sie bei einer kurzen leidenschaftlichen Begegnung ein romantisches Wiedersehen am selben Ort, am selben Tag nur zwei Jahre später vereinbart hat. Und dann ist da auch noch Trine, die sich nach der Geburt ihrer Tochter auch als (Performance)Künstlerin neu erfinden muss.

Schon in den ersten Zeilen „Hier sehen wir Sigrid. Es ist neun Uhr morgens, es ist Januar, und es ist das Licht im Januar 2008…..“ begegnet uns die distanziert beschreibende Erzählhaltung; der Text liest sich teilweise wie Regieanweisungen. Tatsächlich ist er voller Filmzitate, die von den ProtagonistInnen auch kommentiert werden. So schreibt Sigrid etwa an einem Aufsatz, der der Frage nachgeht, was es mit dem in vielen Filmen wiederkehrenden Bild einer Frau in einem viel zu großen Herrenhemd auf sich hat, warum stecken diese Filmfiguren verletzlich, mädchenhaft mit nackten Beinen in diesen Hemden? An anderer Stelle trennt sich ein Paar wegen eines Streits über das Frauenbild im Film Kill Bill 2. Auch intertextuelle Bezüge zum Beispiel zu Dantes Göttlicher Komödie, Kafkas Schloss oder norwegischer Lyrik sind tragend. Das alles klingt kompliziert und etwas abgehoben, wie der große Publikumserfolg in Norwegen zeigt, funktioniert der Roman aber auch mit unterschiedlichem Backgroundwissen. Bleibt nur abzuwarten, wie das deutschsprachige Publikum reagiert.

Gunnhild Øyehaug: Ich wär gern wie ich bin. Roman. Übersetzt von Ebba D. Drolshagen. 272 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2010         EUR 14,30

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2010

Nordlicht

Anna entschließt sich zu einem radikalen Schritt: In einer einsamen Hütte auf den norwegischen Lofoten will sie den Winter verbringen, um Ruhe und zurück zu ihrem Leben zu finden. Dass sie – selbst Psychiaterin mit Burnout-Syndrom, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hat – fürchtet, ihre psychische Gesundheit zu verlieren, macht die Entscheidung, nördlich des Polarkreises zu überwintern nicht weniger drastisch. Auf die Lofoten zieht es Anna, weil ihr Vater, der dort im Zweiten Weltkrieg stationiert war, einige Fragen hinterlassen hat, auf die sie Antworten sucht. Nach und nach findet Anna Anschluss an Einheimische, darunter Giske, deren Lebensgeschichte als „Deutschenbalg“, als Kind eines Besatzungssoldaten, sich mit dem ersten Erzählstrang zu verweben beginnt. Die Gegenwart wird unterbrochen durch Rückblenden, teilweise in Ich-Form erzählt, teilweise in dritter Person entspinnt sich so ein kompliziertes Netz von Erzählsträngen und -ebenen. Orientierungspunkt bleiben Angaben von Ort und Datum. Neben Fragen von Identität, Sinnsuche und psychischem Erleben werden historische Begebenheiten mit dem persönlichen Umfeld verknüpft und es wird von einem lange Zeit anhaltenden großen Tabu gesprochen, dem brachialen Umgang des norwegischen Staates mit den „Deutschenkindern“.
Ein stimmungsvolles Buch, in dem in karger Landschaft Gefühle an die Oberfläche fließen wie das Nordlicht über den Himmel.

Melitta Breznik: Nordlicht. Roman. 254 Seiten, Luchterhand, München 2009 EUR 18,50