Tove Jansson: „Freiheit ist das Beste von allem“

Tove Jansson (1914-2001) ist bis heute die wohl bekannteste jansson_comicschwedischschreibende Autorin Finnlands. Über ihr reiches Künstlerinnenleben berichtet die Kunsthistorikerin Tuula Karjalainen anschaulich und einfühlsam in der nun auf Deutsch erschienenen Biografie.

Jannson war nämlich viel mehr als nur Schriftstellerin, nämlich Kunstmalerin, Illustratorin, Comic-Zeichnerin, Bühnenbildnerin, Dramaturgin, Dichterin, politische Karikaturistin. „Da war sie eine unerbittliche und leidenschaftliche Pazifistin und Antifaschistin. In ihren Gedanken und ihrer Lebensweise war sie eine Feministin, die ihrer Zeit voraus war.“

Als Tochter eines bekannten Bildhauers und einer überaus produktiven Illustratorin war ihr die künstlerische Laufbahn gewissermaßen vorgegeben. Mit dem Vater verband sie eine lebenslange Hassliebe, die Mutter war ihre wichtigste Vertraute. Beide waren künstlerische Vorbilder, während ihre Ehe, in der die Mutter ihre künstlerische Karriere hinter die des Vaters stellte, um sich um Haushalt, Kinder und regelmäßiges Einkommen zu kümmern, das Gegenteil von dem war, was die freiheitsliebende Tove wollte. Einen wunderbaren Einblick in ihre Kindheit bieten auch Janssons Erzählungen in „Die Tochter des Bildhauers“, die mit scharfem Blick auch die patriarchalen Verhältnisse in der Kunstszene aufs Korn nehmen.

jansson_bioJansson studierte Malerei in Stockholm und Helsinki, doch ihre gerade in Schwung kommende Karriere wurde durch den Zweiten Weltkrieg erst einmal gedämpft. Die Erfahrungen der Kriegsjahre verarbeitete sie teilweise durch Schreiben, die Mumin-Familie entstand. Ihren ökonomischen Durchbruch erlebte sie mit den überaus erfolgreichen Mumin-Comics, die in den 1950er Jahren in der englischen Zeitung „The Evening News“ erschienen und von dort um die Welt gingen. Jansson war die Erste, die die Trennlinien zwischen den Comicbildnern in die Geschichten einbezog und als Bildelemente gestaltete. Für viele Zeichnerinnen wurde Jansson zum Vorbild und noch heute sind Frauen in der finnischen Comicszene, sonst oft ein männlich dominierten Genre, überrepräsentiert.

Immer wieder zog es Tove Jansson in ihrer Laufbahn zur Malerei, später auch zur Literatur für Erwachsene, in beiden Bereichen hatte sie Erfolg. Insgesamt ist ihr Leben geprägt von einer unglaublichen Produktivität, und das, obwohl sie immer wieder unter depressiven Episoden litt.

Privat hatte Jansson in den 1930er bis 40er-Jahren einige Beziehungen zu (künstlerisch) einflussreichen Männern, bis sie sich Hals über Kopf in die Theaterregisseurin Vivica Bandler verliebte. Die Frau fürs Leben fands sie schließlich in der Künstlerin Tuulikki Pietilä: „Toves Traum einer Beziehung zwischen zwei selbstständigen, sich gegenseitig ergänzenden und gemeinsam arbeitenden Menschen war Wirklichkeit geworden.“ Die beiden lebten fast 50 Jahre zusammen. Ganz offen, aber nicht öffentlich. Skandal war es keiner, wenn auch manchmal über sie getuschelt wurde: „Ihre Offenheit bedeutete viel für das Leben der sexuellen Minderheiten in Finnland. Obwohl sie auch in dieser Sache nicht auf die Barrikaden gestiegen ist.“

Tove Jansson: Die Tocher des Bildhauers. Übersetzt von Birgitta Kicherer. 127 Seiten, Urachhaus, Stuttgart 2014     EUR 18,40

Tuula Karjalainen: Tove Jansson. Die Biografie. Übersetzt von Anke Michler-Janhunen und Regine Pirschel. 352 Seiten, Urachhaus, Stuttgart 2014            EUR 37,10

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2014

Hilja gegen den Rest der Welt

lehtolainen_nest_des_teufelsEndlich ist er da, der dritte Band von Leena Lehtolainens Thrillertrilogie rund um die Leibwächterin Hilja Ilverskero. Hilja ist so tough, wie wir sie auch bisher schon kennengelernt haben. Als Leibwächterin einer weißrussischen Oligarchentochter, die einen finnischen Geschäftsmann heiraten will, hat sie wieder einen Job in ihrem Metier. Doch der vermeintliche Alltag gerät bald durcheinander, als in ihrer unmittelbaren Umgebung alte Bekannte und Kontrahenten auftauchen – ihr Geliebter, der Agent David Stahl, sowie der Waffenhändler, den ersterer im ersten Band um einen ertragreichen Deal gebracht hat. Während sich dieser alte Konflikt zuspitzt, gilt es auch privat einiges durchzustehen: Hiljas Vertrauter in der Polizei, Laitio, ist todkrank und Hiljas Vater, der ihre Mutter ermordet hat und seither in psychiatrischer Sicherheitsverwahrung sitzt, soll entlassen werden. Es kommt zu mehr als einem Showdown und Spannung ist garantiert. Was sich allerdings der Verlag dabei denkt, im Klappentext das Ende eines Thrillers zu verraten, bleibt unerklärlich und hat das Lesevergnügen merklich getrübt. Also Schutzumschlag wegwerfen und gleich mit dem Lesen beginnen!

Leena Lehtolainen: Das Nest des Teufels. Thriller. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 444 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2014            EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2014

Die Luchsfrau ist zurück

lehtolainen_löwe_der_gerechtigkeitMit „Der Löwe der Gerechtigkeit“ liegt der mittlere Band von Leena Lehtolainens Trilogie über die Leibwächterin Hilja Ilveresko vor. Nach einem sehr spannenden und actiongeladenen ersten Band kommt der zweite nicht so richtig in Schwung. Der Europol-Agent David Stahl, mit dem Hilja eine heftige Affäre hatte und der dann am Rande eines gescheiterten Urandeals verschwand, ist wieder in Hiljas Leben aufgetaucht. Doch als sie sich heimlich in Italien treffen, verschwindet David erneut und hinterlässt jede Menge rätselhafte Spuren (und eine Leiche). Hilja forscht nach und gerät ins Visier des organisierten Verbrechens. Gleichzeitig wird sie mit neuen Hinweisen auf ihre Herkunftsfamilie konfrontiert: ihr gewalttätiger Vater, der ihre Mutter getötet hat, hat möglicherweise auch etwas mit dem angeblichen Unfalltod ihres Großvaters, bei dem sie aufwuchs zu tun. Und schließlich taucht ganz zum Schluss – als Cliffhanger für Band drei – auch noch eine mögliche Halbschwester auf. Vielversprechender Lesestoff für Lehtolainenfans, die sich die ganze Trilogie reinziehen, weniger für die, die einen schnellen Krimi zwischendurch suchen.

Leena Lehtolainen: Der Löwe der Gerechtigkeit. Thriller. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 348 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2013   EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Kallio ermittelt wieder

Leena Lehtolainen nimmt sich in ihrem neuesten Maria Kallio Krimi ein schwieriges Thema vor. Es geht um vier Mädchen, die innerhalb kurzer Zeit in der Nähe von Helsinki verschwinden. Die vier haben gemeinsam, dass sie alle regelmäßig denselben Mädchenclub besuchten, und alle vier sind Muslimas, mit Herkunftsfamilien aus unterschiedlichen Ländern. Als eines der Mädchen ermordet aufgefunden wird und auch die Presse Wind davon bekommt, gerät Ermittlerin Maria Kallio, die inzwischen wieder für die Polizei arbeitet, zunehmend unter Druck. Die Geschichten der vier Mädchen sind vielschichtig, in ihren Leben gibt es Konflikte um Erwachsenwerden, Verliebt sein, Traditionen, Integration, Finnisch sein oder Fremd sein. Gibt es einen gemeinsamen Nenner in ihrem Verschwinden? Ehrenmord oder rassistisches Motiv? Lehtolainen schafft es – im Gegensatz zu anderen in diesem Genre – ohne Klischees und vereinfachende Antworten den Kriminalfall aufzulösen – das Unbehagen über den Umgang der Gesellschaft mit dem Thema Zuwanderung bleibt.

Leena Lehtolainen: Sag mir, wo die Mädchen sind. Maria Kallio ermittelt. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 344 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2012        EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Im Bilderrausch

helsinki_school„The Helsinki School – A Female View“ ist der inzwischen vierte Band einer Reihe von Publikationen der Aalto University School of Art and Design. Diese international renommierte Uni für Design, Film, neue Medien, audiovisuelle Kommunikation, Kunstunterricht und Kunst positioniert sich mit dem Konzept der „Helsinki School“ im Bereich Fotografie und Video. Dabei geht es um die spezielle Herangehensweise in der universitären Lehre, die „jeder Generation die Chance geben soll, sich selbst zu erfinden und die Kamera dabei als konzeptionelles Tool zu verwenden.“ Der vorliegende Band trägt den Zusatz „A Female View“, was heißt, dass 22 Fotografinnen Raum gegeben wird, um ihre Werke zu präsentieren. Es wird dabei sehr schnell klar, dass von „einer weiblichen“ Sicht keine Rede sein kann. Jede Künstlerin hat ihren ganz eigenen Stil, ihre individuellen Techniken und Blickwinkel. Das reicht von wunderbaren Porträts (Nelli Palomäki) über kaleidoskopartige Architekturaufnahmen (Nanna Hänninen) und großartige Installationen von Vintage-Kleidungsstücken in der Natur (Riitta Päiväläinen) bis zu Fotografien im Stil traditioneller chinesischer Landschaftsmalerei (Sandra Kantanen). Ein schön ausgestatteter Band, der inspiriert.

The Helsinki School. Vol. 4. A Female View. Hg. von Aalto University School of Art and Design. 188 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011 EUR 40,90

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Katariinas Vater

Katariinas Vater hat sie und ihre Mutter verlassen, als sie zwei war. Bewusste Erinnerungen an ihn hat sie keine, nur an das Telefonat, als sie zwölf war, und sie ihm mitteilte, dass sie sich „nicht mit fremden Männern trifft.“ Jetzt ist Katariina mit dem Fotografen Olli verheiratet und selber Mutter. Sie wohnt mit ihrer Familie auf Suomenlinna, einer Insel in Helsinki – zentral und dennoch abgeschieden. Der Frühling kommt langsam ins Land, als eines morgens der Alltag aus den Fugen gerät: die Polizei steht vor der Tür und teilt Katariina mit, dass ihr Vater gestorben sei. Kann es sein, dass der Tod eines Unbekannten eine so aufwühlt? Es kann. Und noch mehr die Tatsache, dass sie drei Halbgeschwister hat. Es beginnt eine unwirkliche Zeit der Trauer, die Katariina so unpassend vorkommt. Praktische Dinge müssen organisiert werden, die Geschwister kommen zu Besuch. Die Tochter distanziert sich von ihr und die Beziehung zu Olli fährt Achterbahn.

Erzählt wird aus ständig wechselnder Perspektive: alle ProtagonistInnen kommen in Ich-Form zu Wort, während Katariinas Sichtweise in der dritten Person erzählt wird – womit die Leserin ihr genauso wenig nahe kommt wie ihre Umwelt. Ein großartiges Buch mit einem Kaleidoskop unterschiedlicher Charaktere, in dem tiefe Gefühle genauso Platz haben wie humorvolle Episoden. Gleich lesen!

Katja Kallio: Zeit der Zugvögel. Roman. Übersetzt von Alexandra Stang. 347 Seiten, Krüger Verlag, Frankfurt/Main 2011       EUR 17,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Die Luchsin

Wieder einmal wurde in der Redaktion um einen Leena-Titel gefeilscht, ich durfte ihn jetzt als erste lesen! Welch ein Glück! Die Leibwächterin wird auch den anderen gefallen. Hilja Ilveskero ist zwar noch recht jung, hat aber schon allerhand Jobs gehabt. Gerade arbeitet sie als Leibwächterin für eine Immobilienhaiin, die viel Geld mit russischen KundInnen verdient, die in Finnland investieren. Nicht alle mit legalen Absichten. Dabei gerät sie in gefährliche Kreise. Auf einer Moskaureise gibt es Streit zwischen Hilja und ihrer Auftraggeberin, weil diese einen weißen Luchspelz kauft. Hilja kündigt in rasender Wut und das Unheil nimmt seinen Lauf: ihre Auftraggeberin wird prompt ermordet und Hilja verdächtigt. Sie versucht selbst zu ermitteln, weiß aber nicht, wem sie noch trauen darf. Hilja ist eine komplexe Figur, die sowohl in ihrer Tarnung als Durchschnittsfinne Reiska als auch als Prostituierte, die sich ins Wohnzimmer des Mafiapaten einschleicht, überzeugt. Sehr, sehr cool. Und die Geschichte mit der Luchsin erklärt sich am Ende auch.

Leena Lehtolainen: Die Leibwächterin. Thriller. Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. 378 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2011 EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2011

Fegefeuer 20. Jahrhundert

Estland – längst EU-Mitglied, beliebter werdendes Reiseziel und doch auch unbeschriebenes Blatt, was unser Wissen über seine Geschichte angeht. Diesbezüglich bringt Sofi Oksanen, Tochter einer Estin und eines Finnen, einige Klarheit – weniger vielleicht was das Faktische betrifft, dafür umso eindrücklicher was Emotionen, Gesellschaftsstrukturen und politisches Klima anbelangt. Wechselnde Regime – Unabhängigkeit, deutsche und russische Besatzung, Eingliederung in die UdSSR, dann wieder Unabhängigkeit – prägten das 20. Jahrhundert. Was das für die Menschen hieß, v.a. wenn sie sich politisch engagierten, liest sich in diesem Roman mit. Gerade die Rollen und Positionen, die Frauen aufgezwungen bzw. zugestanden wurden, werden deutlich. In Aliide und Zara treffen Großmütter- und Enkelinnengeneration aufeinander. Beide haben die extremsten Erfahrungen ihrer Zeit gemacht – die eine gefoltert und vergewaltigt, weil sie einen Partisanen versteckte. Die andere aufgewachsen mit einer Mutter, die als Kind Folter und sibirische Lager überlebte, wird als Zwangsprostituierte in den Westen verschleppt. Dass zwischen den beiden Frauen eine verwandtschaftliche Verbindung besteht, die durch Verrat und Schuld geprägt ist, spannt den inhaltlichen Bogen. Die im Klappentext gemachte vereinfachende Feststellung: „Egal, welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen“, wird dem Roman – zum Glück – nicht gerecht. Die Autorin entwickelt ihre Geschichte und Charaktere differenzierter. Aliide etwa ist eine äußerst komplexe Persönlichkeit, deren Motive teilweise rätselhaft bleiben; aber gerade das macht sie auch authentisch. Ein Roman, der seine vielen Preise absolut verdient hat.

Sofi Oksanen: Fegefeuer. Roman. Übersetzt von Angela Plöger. 396 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010            EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2010