Große Schwindelei

ekmann_schwindlerinnenBarbro Andersson und Lillemor Troj studieren in den 1950er Jahren gemeinsam in Uppsala. Barbro will an einem Literaturwettbewerb teilnehmen; der steht unter dem Motto: ein Lucia-Kurzkrimi. Doch als eher durchschnittlich attraktive Frau rechnet sie sich wenig Chancen aus. Also schickt sie ein Foto der blonden, luciagleichen Lillemor mit. Die beiden gewinnen, Lillemor nimmt den Preis entgegen, das Geld wird geteilt. Das ist der Anfang einer großen Autorinnenkarriere. Barbro schreibt und schreibt, Lillemor kommentiert und repräsentiert. Beide sind – meist – zufrieden mit ihren Rollen. Doch viele Jahre später – Lillemor wurde inzwischen sogar in die Schwedische Akademie gewählt – taucht bei ihrem Verleger das Manuskript für einen Unterhaltungsroman auf – der Plot: die betrügerische Geschichte einer Autorin, die nie eine Zeile selbst geschrieben hat. Lillemor gelingt es zwar, in Besitz des Manuskripts zu kommen, doch Barbro – die eindeutig seine Autorin ist – will sie erst mal auch nicht treffen.

Abwechselnd lesen wir, was Lillemors in der Gegenwart widerfährt und Barbros in Ich-Form geschriebenes Manuskript. Von den Höhen und Tiefen beider Leben, von Liebe, Schicksalsschlägen und Jobs, von Sexismus und Erfolg. Von Freundinnen- und Feindinnenschaft.

Kerstin Ekman, eine der bedeutendsten schwedischen Gegenwartsautorinnen, wird heuer 80. In einer Phase, in der manche AutorInnen Lebensrückblicke oder Autobiographien schreiben, geht Ekman – wieder einmal – ihren ganz eigenen Weg und schreibt ironische, mit ihrer Branche abrechnende Autofiktion, die – ganz große Literatur eben – auch als Roman bestens funktioniert – oder umgekehrt? Mein Buch des Jahres!

Kerstin Ekman: Schwindlerinnen. Roman. Übersetzt von Hedwig M. Binder. 448 Seiten, Piper, München 2012   EUR 23,70

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Island der Schriftstellerinnen

Island war 2011 als erstes skandinavisches Land Gastland der Frankfurter Buchmesse, was besonders viele isländische Neuerscheinungen, islandbezogene Veranstaltungen und Presseberichte mit sich brachte. 89 belletristische Titel erschienen zwischen Herbst 2010 und Herbst 2011 neu auf Deutsch. 25 davon stammen von Autorinnen, das sind gerade einmal 28 Prozent. Erfreulicherweise waren aber viele Autorinnen persönlich auf der Messe vertreten.

100_4136Island ist ein Land der Superlative, was damit beginnt, dass es sich um das geologisch jüngste Land der Erde handelt und damit aufhört, dass pro Kopf nur die US-Amerikaner*innen mehr Strom verbrauchen. Auch Frauen in der Politik werden immer wieder als Rekordhalter*innen dargestellt: Vigdís Finnbogadóttir war 1980 das erste gewählte weibliche Staatsoberhaupt, 1983 wurde die Frauenallianz als weltweit erste feministische Partei ins Althing gewählt und derzeit führt Jóhanna Sigurðardóttir als erste offen lesbische Premierministerin die Regierungsgeschäfte, was bedeutet, dass sie dafür verantwortlich ist, das nach dem Bankencrash 2007 schwer angeschlagene Land aus der Krise zu führen.

In der Literaturbranche rühmt man sich auch mit Weltrekorden. Gemessen an einer Gesamtbevölkerung von nur 320.000 Personen zeigt die Insel knapp südlich des Polarkreises mit jährlich 1.500 Neuerscheinungen in 42 Verlagen eine starke literarische Szene. Im Schnitt kaufen Isländer*innen acht Bücher im Jahr. Schriftsteller*innen können – so wie andere Künstler*innen – ein staatliches Gehalt beziehen, wenn sie bereits eine bestimmte Anzahl von Veröffentlichungen nachweisen. Ähnliche Voraussetzung gelten auch für eine Aufnahme in die isländische Schriftstellergewerkschaft. Nur ein Drittel der Mitglieder und ein Drittel der Autor*innen, die vom Schreiben leben können, sind allerdings Frauen, was deutlich macht, dass es auch in Island strukturelle Hindernisse für Frauen gibt, um am Buchmarkt zu reüssieren.

Bei den Übersetzungen ins Deutsche sinkt der Anteil von Autorinnen wie eingangs erwähnt noch etwas. Während die erfolgreichsten Autorinnen auf der Frankfurter Buchmesse gut vertreten sind, werden sie in der medialen Wahrnehmung oft ignoriert: Der Standard erwähnt in drei Seiten Text zur Buchmesse 17 Autor*innen namentlich, davon drei Frauen; im Kurier werden acht isländische Neuerscheinungen empfohlen, eines davon von einer Frau; in der Falterbuchbeilage: keine einzige isländische Autorin.

Erzähltraditionen

Weibliches Erzählen hat in Island eine weit zurückreichende Tradition. Die 100_4111mündliche Überlieferung von Dichtung in altnordischer Zeit folgte Formen wie Visionen, Zauberformeln, Arbeitsliedern, Klagegesängen oder Heilungsgedichten und wurde oft von Frauen weitergeben. Schriftlich erhalten ist die Liederedda, deren Texte zumindest zum Teil aus der Zeit vor dem 10. Jahrhundet stammen dürften, auch wenn sie erst später niedergeschrieben wurden. Diese Schilderungen von fantastischen mythologischen Figuren, übernatürlichen Erscheinungen und Heldentaten enthalten viele Anknüpfungspunkte an die Erfahrungswelt von Frauen der Wikingerzeit und geben Frauen in Form von Monologen auch eine Stimme. Aber mit der Christianisierung, den ersten (Kloster-)Schulen und der Verschriftlichung wurde Literatur zu einem männerdominierten Bereich.

In der modernen isländischen Literatur lassen sich trotz aller Diversität ein paar wiederkehrende Motive ausmachen: die karge, raue Natur und die imposante Landschaft mit Gletschern, eisigem Meer und heißen Quellen spielen in vielen Publikationen eine Rolle; ähnliches gilt für übernatürliche Erscheinungen, die sowohl aus den Liedern der Edda als auch den reichen Volksmärchen bekannt sind und bis heute Einfluss haben. Diese Motive zeigen sich in unterschiedlicher Ausprägung auch in den folgenden aus verschiedenen Genres ausgewählten Beispielen.

Kristín Steinsdóttir

In Kristín Steinsdóttirs Roman „Im Schatten des Vogels“ sind beide genannten Motive von Bedeutung. Es geht um die Geschichte Ljósas, die Ende des 19. Jahrhunderts auf einem einsamen Bauernhof aufwächst. Die Geschichten der alten Magd Kristbjörg sind genauso alltäglich für sie, wie der Brauch, der „Hauselfe“ etwas Milch zu bringen, um sie milde zu stimmen. Ljósa ist der Natur mit all ihren unsichtbaren Bewohner*innen stark verbunden. Als sie heranwächst, verliebt sie sich in einen jungen Mann, doch der Vater verbietet die Verbindung und schickt sie auf eine Mädchenschule nach Reykjavík. Trotzdem es immer Ljósas Wunsch gewesen war, etwas von der Welt zu sehen, und sie jetzt nähen und sogar Harmonium spielen darf, gleitet sie immer tiefer in die Depression. Nach einem Jahr kehrt sie zurück in die Herkunftsregion und heiratet einen Zimmermann. Die Spannungen zwischen ihrem Mann und ihrem Vater stürzen sie in innere Konflikte, für die ihr aber nach beinahe jährlichen Schwangerschaften und Geburten bald keine Kraft mehr bleibt. Lange Zeit wirkt sie einfach exzentrisch und widerspenstig, doch mit den Jahren manifestiert sich eine manisch-depressive Störung, für die sie keine adäquate Behandlung bekommt. Kristín Steinsdóttir schrieb diesen Roman in Anlehnung an das Schicksal ihrer Großmutter; um Milieu und Umstände des bäuerlichen Lebens im 19. Jahrhundert realistisch darstellen zu können, hat die für ihre Kinderbücher bereits preisgekrönte Autorin viele Jahre lang recherchiert. Die Figur der Ljósa ist mit viel Einfühlungsvermögen und Sympathie dargestellt; durch die Erzählung in der ersten Person sehen wir die Welt durch ihre Augen – so auch die damals weit verbreitete Methode, psychisch kranke Personen in eine „Narrenkiste“ einzusperren. Eine grausame Methode, doch, wie die Autorin sagt, ebenso eine „Maßnahme der Verzweiflung“ eines völlig überforderten Umfeldes.

Kristín Steinsdóttir: Im Schatten des Vogels. Roman. Übersetzt von Anika Lüders. 252 Seiten, C.H.Beck, München 2011      EUR 20,60

Yrsa Sigurðardóttir

Auch Yrsa Sigurðardóttir begann ihre Karriere als Kinderbuchautorin, wechselte dann aber ins Krimigenre, in dem sie auch im Ausland bekannt wurde. In ihrem neuesten Thriller „Geisterfjord“ kommt es in einem einsamen Fjord zu gespenstischen Begegnungen, die einer schon mal schlaflose Nächte bescheren können. Spurlos verschwundene Kinder sind als Krimithema schon gruselig genug, aber wenn sie dann auch noch als Geister wiederkehren! Die Verbindung außergewöhnlicher Umstände (völlige Isolation von der modernen Umwelt) mit psychischem Druck lassen die Grenzen zwischen materieller Wirklichkeit und Einbildung verschwimmen – so hofft die Leserin mit den Protagonist*innen, die sich wünschen, das was sie erleben seien nur Halluzinationen.

Yrsa Sigurðardóttir: Geisterfjord. Thriller. Übersetzt von Tina Flecken. 358 Seiten, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main 2011        EUR 9,30

Steinunn Sigurðardóttir

Ganz ohne Übersinnliches kommt hingegen Steinunn Sigurðardóttir in „Der gute Liebhaber“ aus. In sehr nüchternem, klaren Stil schreibt sie eine anfangs märchenhaft anmutende Geschichte von Karl, der, nachdem er in den USA ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist, nach Island kommt, um seine Jugendliebe zu entführen – was ihm dank einer Reihe ziemlich unwahrscheinlicher Zufälle auch gelingt. Ein Leben lang hatte er sich nach Una verzehrt; keine seiner zahlreichen Geliebten, fast alle äußerlich perfekt, konnten ihn über seinen Verlust trösten. Er hält sich für einen „guten Liebhaber“, der eine Frau perfekt befriedigen kann. Er selbst „verzichtet“ dabei auf den Orgasmus. Doch gerade als sich das Märchen mit Una zu erfüllen scheint, erinnert Karl sich an Doreen, eine der weniger perfekten Geliebten, die hinter seine Fassade blickte, die ihn mit seiner Masche des perfekten Liebhabers nicht so einfach davon kommen ließ, und ihn dadurch gleichzeitig abstieß und anzog.

Steinunn Sigurðardóttir: Der gute Liebhaber. Roman. Übersetzt von Coletta Bürling. 223 Seiten, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011            EUR 18,50

Kristín Marja Baldursdóttir

Eine Autorin, die von sich sagt: „Gleichberechtigung war meine Vision als ich mit dem Schreiben begann“, ist Kristín Marja Baldursdóttir. Im deutschsprachigen Raum wurde sie 2001 mit „Möwengelächter“ bekannt, das später auch verfilmt wurde. Ihre älteren Romane sind gerade als Taschenbücher neu aufgelegt worden. Neu erschienen ist der Roman „Sterneneis“, der eine 14-Jährige und eine Frau in den 50ern in ein einsames Ferienhaus ohne Strom und damit ohne Handy, Internet und Fernsehen verschlägt, wo sie ein ganzes Wochenende zusammen verbringen. Sie finden einen Draht zueinander, als die Ältere beginnt, der Jüngeren Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen.

Kristín Marja Baldursdóttir: Sterneneis. Roman. Übersetzt von Ursula Giger. 240 Seiten, Krüger Verlag, 2011   EUR 17,50

Es bleibt zu hoffen, dass das Interesse an isländischer Literatur auch nach der Buchmesse weiter anhält. Ob historisch oder gegenwärtig, ob übersinnlich oder ganz ohne Elfen und Trolle. Die isländische Literatur hat viel zu bieten. Kein Wunder, dass die Isländer*innen so gerne lesen.

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011