Schneller lesen per App?

Mit diesem Eintrag geht eine neue Kategorie an den Start: „Lesen – Schreiben – Übersetzen“. Um Bücher geht es dabei auch, aber nicht nur. Vielmehr gibt es hier Platz für Berichte von Vorträgen, Veranstaltungen usw. zu den genannten Themenbereichen. Bin selber schon gespannt….

spritzx4Die neuen Medien verändern das Leseverhalten. Gerade wenn über Kinder und Jugendliche gesprochen wird, vermuten KulturpessimistInnen wieder einmal eine allgemeine Verdummung, wie schon bei Erfindung von Kino oder Fernsehen. Wobei man dabei auch nicht vergessen darf, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass auch zu viel lesen unerwünscht war. Gerade was die Quantität anbelangt zeigen aktuelle Untersuchungen, dass wir so viel lesen wie nie zuvor. Auch jugendliche Leserinnen und Leser. Den Unterschied macht allerdings aus, was wir lesen, denn darunter sind sehr viele kurze Texte wie SMS, E-Mails oder Posts in Onlineforen.

Interessante Denkimpulse zum Thema präsentierte am 3. November 2015 Alexandra Borg von der Universität Uppsala in einem Vortrag mit dem Titel „Quantifizierung der Literatur. Über Zeitdruck und digitales Lesen: das Beispiel Spritz“ an der Universität Wien. Borg ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und arbeitet zur Zeit im Rahmen des Pilotprojektes „Flexit“ des Jubiläumsfonds der Schwedischen Nationalbank an Fragen rund um das Lesen der Zukunft, oder „Lesen 2.0“. „Flexit“ richtet sich an ForscherInnen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die an der Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft arbeiten wollen. Dabei werden einerseits Karrierewege abseits der Universitäten geöffnet, anderseits die Kompetenzen von WissenschaftlerInnen für Unternehmen sicht- und nutzbar.

Im Fall von Alexandra Borg heißt das, dass sie in, mit und für den Verlag Bonnier an Fragen zur Herstellung digitaler Texte arbeitet und sich dabei auch den ganz konkreten Prozessen („Wie entsteht ein E-Book?“) widmet. Darüber hinaus geht es in ihrer Arbeit um den Konsum von Texten. Auch hier wird in Alltagsdiskursen oft zwischen „gutem“ (=genau, langsam) und „schlechtem“ (=schlampig, schnell) Lesen unterschieden. Borg sieht Lesen als eine Praxis, die eben auch Veränderungen unterworfen ist. Diese unterschiedlichen Buchrad-von-Ramelli-1588Ausprägungen, gerade auch in Verbindung mit technischen Hilfsmitteln, werden sehr anschaulich, wenn man etwa ein „Buchrad“ aus dem 16. Jahrhundert betrachtet. Das war ein großes Holzrad, ähnlich einem wasserbetriebenen Mühlrad. In jedes Fach konnte ein aufgeschlagenes Buch gelegt werden. Saß man davor, konnte man während der Lektüre zu einem anderen Buch weiterdrehen. Man hatte also – ähnlich wie wir das von mehreren Fenstern am Computer kennen – mehrere Texte gleichzeitig lesebereit. Moderne E-Reader bieten ganz ähnliche Lesemöglichkeiten.

Neue technische Hilfsmittel versprechen ein neues „Leseerlebnis“ und im Fall der von Borg analysierten App „Spritz“ auch eine höhere „Lesegeschwindigkeit“. Das funktioniert so: auf einem digitalen Device (Mobiltelefon, Tablet oder PC) wird ein elektronischer Text geladen. In einem schmalen Lesefeld werden entsprechend einer vorher gewählten Geschwindigkeit die Wörter nun einzeln nacheinander angezeigt. Ein Buchstabe ist jeweils rot markiert und wird vom Auge fixiert. Durch den Wegfall der Augenbewegungen erhöht sich die Anzahl der Wörter, die in einem bestimmten Zeitraum gelesen werden können. Laut Spritzinc des 2014 gelaunchten Startups mit Sitz in Boston und München richtet sich „Spritz“ an alle, die lesen können, auch an Kinder. Für Alexandra Borg bietet die App jedenfalls ein neues, anderes Leseerlebnis und damit eine Wahl mehr, die Leserinnen und Lesern heute und in Zukunft zur Verfügung steht.

Foto: Buchrad von Ramelli 1588 (Foto aus der Habilitationsschrift G. Keil), siehe www.austria-forum.org